Trading-Psychologie: Die vier Kompetenzstufen
Wie im ersten Teil der dreiteiligen Psychologie-Serie erläutert wurde, besteht das Trading zu einem großen Teil aus Selbstbeherrschung und dem angebrachten Umgang mit den eigenen Gefühlen. Um ein dauerhaft erfolgreicher Trader zu werden, müssen zwangsläufig die eigenen Verhaltensweisen und Reaktionen auf Gewinne und Verluste in Erfahrung gebracht werden. Dies kann als eigener Lernprozess neben dem Studium von Technischer Analyse und Strategien angesehen werden. Als äußerst hilfreicher Leitfaden im Prozess der Entwicklung zu einem erfolgreichen Trader, kann das Modell der Kompetenzstufenentwicklung aus der Entwicklungspsychologie dienen, welches sich in 4 Stufen gliedert und auf fast jeden Trader angewendet werden kann.
Die unbewusste Inkompetenz
Diese erste Stufe bezeichnet in der Theorie die Phase, in der der angehende Trader noch keinerlei Erfahrung und Wissen über das Handeln an der Börse besitzt. Diese beginnt meistens mit dem leichtfertigen Eröffnen eines Handelskontos und dem Platzieren der ersten Trades. Durch das fehlende Wissen und die Unkenntnis der eigenen Defizite kommt es zum sogenannten Dunning-Kruger-Effekt. Dieser besagt, dass ein Individuum durch fehlendes Wissen deutlich mehr Selbstvertrauen hat, als eine gleichwertige Person mit deutlich höherem Kenntnisstand. Der Ruf des großen Geldes lässt jede Art des eigenen Reflektierens völlig verschwinden. Jene Verlockung lässt die logische Überlegung, dass jeder Beruf erst erlernt werden muss, völlig verschwinden.
Als Beispiel kann sich eine Person vorgestellt werden, die Lkw-Fahrer werden will. Sie hat jedoch noch nie einen 30-Tonner von innen gesehen, will aber am nächsten Tag auf der Autobahn eine 1000 km Strecke fahren. Dieses Szenario würde jeder klar denkende Mensch für völlig verrückt halten, jedoch gibt es monatlich Tausende Menschen, die dieses Wagnis auf die Börse übertragen angehen. In der Phase der unbewussten Inkompetenz kommt es so oft zu den gleichen zwei Szenarien. Entweder der Trader verliert sofort und rutscht in eine Spirale des Rache-Tradings, oder er gewinnt durch eine Glückssträhne. Allerdings hat auch letztere Möglichkeit ihre Tücken, denn nun ist der Trader gepusht vom eigenen Selbstbewusstsein und beginnt immer höhere Risiken einzugehen. Letztendlich führt auch dies zum K.O.
Die bewusste Inkompetenz
Bei der zweiten Stufe des Modells wird das Verstehen der eigenen Defizite beschrieben, jedoch weiß das Individuum, respektive der Trader, nicht, wie er etwas erreichen kann. Die große Scheinwelt der Werbung ist zusammengebrochen und plötzlich steht die Frage „Wie überlebe ich in diesem Haifischbecken“ an oberster Stelle. Interessant ist, dass die wenigsten Trader hier an die Überarbeitung der eigenen mentalen Fähigkeiten denken, sondern anfangen, sich ein unnütz breites Wissen an Strategien, Technischer Analyse und sonstigen beworbenen Hilfsmitteln anzueignen. Dies ist ein Grund dafür, dass diese Stufe die teuerste und zeitaufwendigste im gesamten Verlauf des Erlernens dieses Berufes ist. Artikel, DVDs und Super-Syteme kosten viel Geld und Zeit. Meist bringt dem angehenden Händler diese Ansammlungen von Wissen überhaupt nichts und die Schuld an der weiterhin schlechten Performance wird den Strategien oder anderen Gründen gegeben. Dies bildet die wohl wichtigste Definition der zweiten Stufe ab: Dem Trader sind die eigenen Defizite bekannt, aber er unternimmt keine effektiven Schritte gegen diese Unzulänglichkeiten. Somit ist dies die gefährlichste Stufe auf dem Weg zu einem guten Trader und etwa 90 Prozent aller am Markt befindlichen Personen überwinden jene überhaupt nicht.
Die bewusste Kompetenz
Wird nach einer gewissen Zeit die zweite Stufe überwunden, kommt es zum wichtigsten Prozess. Die dritte Stufe ebnet den Weg zum dauerhaften Erfolg und bringt die Erkenntnis, wie an den Märkten zu handeln ist sowie, dass kein System der Welt die Entwicklung eines Kurses vorhersagen kann. Der „Lernende“ ist sich im klaren Bewusstsein, wie er sein Ziel erreichen kann und, dass Konzentration sowie die Reflexion der eigenen Gefühle und Handlungen nötig ist. Nimmt man eine unbestimmte Anzahl an erfolgreichen Händlern, wird diese Stufe auch als „Moment des Erwachens“ oder „Aha-Effekt“ bezeichnet. Inbegriffen in dieser Stufe ist auch die Feststellung, dass ein erfolgreiches Überleben an der Börse nicht von einem einzigen Trade, sondern von einer ganzen Abfolge von Handelsentscheidungen abhängt. Der Händler beginnt die Märkte nur noch zu betreten, wenn seine Regeln es ihm vorgeben. Auch dann, wenn eine andere persönliche Einschätzung gegenüber dem Markt vorherrscht, oder schwierige emotionale Gegebenheiten existieren. Hat der Trader es bis zu dieser Stufe geschafft, kann er sich in einem kleinen Kreis der dauerhaft profitablen Händler begrüßen. Dennoch herrschen hier Gefahren, denn nur allzu oft fallen Händler wieder auf die zweite Stufe zurück. Daher sollte auch nach erfolgreichen Phasen die Disziplin aufrechterhalten werden und das eigene Ego in diesem Beruf grundsätzlich zur Seite geschoben und ignoriert werden.
Die Unbewusste Kompetenz
Die vierte und letzte Stufe kann als „heiliger Gral“ in der persönlichen Entwicklung eines Traders angesehen werden. Der Trader hat nach jahrelanger Arbeit und psychischem Stress so viel praktische Erfahrung angesammelt, dass das Handeln an der Börse wie ein unterbewusster Prozess abläuft. Dabei werden kaum noch Konzentration und Stress verursacht. Der Trader blickt auf einen Chart und ist sich sofort seiner Chancen bewusst oder ignoriert aus gegebenem Anlass die ersichtlichen Möglichkeiten. Die einzelnen Trades haben keinerlei Bedeutung und wecken auch keinerlei Emotionen mehr. Der Händler wird erkennen, dass die Zeit vor dem Bildschirm zu etwa 90 Prozent aus Warten besteht. Diese kann er sinnvoll nutzen und sich anderen Beschäftigungen widmen, wie einer Zweitverwertung des angelernten Wissens oder auch der Familie. Diese letzte Stufe kann zwar prinzipiell von jedem Menschen erreicht werden, dennoch ist sie die seltenste Form, die bei Händlern beobachtet werden kann. Statistisch gesehen haben diesen „Status“ der unbewussten Kompetenz nur etwa 200 „private“ Trader in Deutschland inne.
Fazit
Gerade die ersten beiden Stufen hat jeder länger am Markt befindliche Trader erlebt. Jene stellen somit die Basis eines jeden erfolgreichen Traders dar. Dieser zwei Phasen muss sich also niemand schämen. Wichtig bleibt nur die Erkenntnis, in welcher Phase man sich gerade befindet und der unbedingte Wille zum Aufstieg in die weiteren Stufen. Blutige Anfänger und besonders mittellose Trader (Low-Equity-Trader) sollten sich von der Vorstellung eines schnellen Reichtums verabschieden. Jeder Beruf und sei er noch so einfach, muss erlernt werden und kostet Lehrgeld und Zeit. Im Falle des Börsenhändlers stehen noch weitere Schwierigkeiten im Weg, wie ein fehlendes monatliches Gehalt, Versicherungen und die Schwierigkeit des Handels mit den eigenen Geld-Ressourcen. Damit jeder den Aufstieg bis in die dritte Stufe schaffen kann, folgen im nächsten und letzten Teil für jede Phase eine Anleitung zur Vermeidung grundlegender Fehler und mentale Übungen zur Vermeidung eben jener.
Die in diesem Artikel angegebenen Informationen sollten nicht als Handelsempfehlung betrachtet werden. Stützen Sie Ihre Handelsaktivitäten auf eigene Analysen und Ihr eigenes Wissen. Und befolgen Sie immer die wichtigsten Schritte beim Trading - egal ob bei Aktien, Kryptos oder klassischen Währungen.